Versorgung des Neugeborenen mit Mekonium – alles NEU?!

Auf einen Blick:

  • kein intrapartales Absaugen nach Geburt des Kopfes
  • kein endotracheales Absaugen des vitalen Neugeborenen
  • Inspektion des Oropharynx und Absaugen nur bei Verdacht auf eine Obstruktion der Atemwege mit Mekonium
  • Intubation und tracheales Absaugen beim nicht vitalen Neugeborenen mit Mekonium nur bei Verdacht auf eine Obstruktion der Trachea
  • Die Beatmung darf nicht unnötig verzögert werden

 

 

Im Detail:
Mekoniumhaltiges Fruchtwasser unter der Geburt bereitet dem erstversorgenden Team immer große Sorgen. Dabei ist leicht grünes Fruchtwasser im Rahmen einer Geburt an sich nicht selten und hat im Allgemeinen keine Konsequenzen für die Akutversorgung des Neugeborenen. Zumeist zeigen diese Neugeborenen keinerlei Anzeichen einer respiratorischen Beeinträchtigung. Zähes, dickflüssiges Mekonium sollte das versorgende Team jedoch immer in Alarmbereitschaft versetzen, da dies ein erster Hinweis auf ein beeinträchtigtes Neugeborenes sein kann.
Bereits seit den Guidelines 2010 des European Resuscitation Council (ERC) ist ein intrapartales Absaugen, also ein Absaugen nach der Geburt des Kopfes und vor Geburt der Schultern, nicht mehr empfohlen. Es führt zu keiner Verbesserung des Outcomes und -im Gegenteil- mitunter zu dramatischen Verzögerungen in der Erstversorgung. [1]
Auf Grund einer großen multizentrischen Studie [2] war das tracheale Einstellen und Absaugen des vitalen Kindes (guter Muskeltonus, effektive Spontanatmung, Herzfrequenz >100/min) bereits in den Guidelines 2010 nicht mehr empfohlen. Das tracheale Absaugen eines vitalen Kindes, reduziert weder die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Mekoniumaspirationssyndroms, noch beeinflusst es dessen Schweregrad.
Vitale Neugeborene mit Mekonium werden daher, unabhängig von der Menge oder Konsistenz des Mekoniums, nach dem Standardalgorithmus der Neugeborenenreanimation versorgt.
Schwieriger war das Vorgehen bisher beim nicht vitalen Neugeborenen mit mekoniumhaltigem Fruchtwasser. Die Guidelines 2010 haben für das nicht vitale Neugeborene (schlaffer Muskeltonus, keine suffiziente Spontanatmung, Herzfrequenz <100/min) ein sofortiges tracheales Absaugen empfohlen. Dies hat auch nach unserer Beobachtung in zahlreichen Trainings zu großen Schwierigkeiten in der Praxis geführt. Sehr häufig ist in solchen, häufig nicht vorhersehbaren Situationen das erste medizinische Personal vor Ort (Hebammen, GynäkologInnen) nicht  mit der Intubation eines Neugeborenen vertraut. Somit ist ein schnelles und effektives tracheales Absaugen nur schwer möglich. Aber auch für NeonatologInnen stellt dies in Anbetracht eines schwerst lebensbedrohten Neugeborenen eine große Herausforderung dar. Ein tracheales Absaugen bei nicht  vitalen Neugeborenen mit mekoniumhaltigem Fruchtwasser führte zudem in einer aktuellen Studie zu keiner Outcome-Verbesserung. [3]

Die neuen Guidelines 2015 empfehlen daher ein pragmatischeres Vorgehen:
„Handelt es sich um dickes, zähes Mekonium bei einem nicht vitalen Neugeborenen und wird eine Verlegung der Atemwege vermutet, kann in diesem seltenen Fall eine Inspektion des Oropharynx und ein Absaugen unter Sicht in Erwägung gezogen werden.
Eine routinemäßige tracheale Intubation wird bei mekoniumhaltigem Fruchtwasser und nicht vitalem Neugeborenen nicht mehr generell empfohlen und soll nur bei Verdacht auf eine wirkliche Obstruktion der Trachea mit Mekonium durchgeführt werden.
Entscheidend ist in diesen Situationen, bei einem nicht oder nicht suffizient atmenden Neugeborenen eine Beatmung nicht unnötig zu verzögern, sondern mit dieser bereits innerhalb der ersten Lebensminute zu beginnen.“ [4]

 

 

 

SIMCharacters empfiehlt daher für die Praxis:
Mekoniumhaltiges Fruchtwasser während einer Geburt bedeutet für das Team immer eine erhöhte Alarmbereitschaft. Frühzeitig muss über das Verständigen weiterer Hilfe nachgedacht werden. Zeigt sich das Kind nach der Geburt nicht vital, wird spätestens jetzt weitere Hilfe verständigt und das Kind an einen Ort gebracht, an dem es sicher und effektiv versorgt werden kann.
In der Praxis ist es wahrscheinlich schwierig, eine Verlegung der oberen Atemwege ohne eine Inspektion des Oropharynx  bzw. vor Beatmungen zu erkennen bzw. auszuschließen. Deshalb kann zunächst mit einem dicken Absauger - wir empfehlen einen orangenen Absauger mit 16 Ch oder einen Jankauer -  versucht werden, Mekonium aus dem Oropharynx abzusaugen (Absaugsog bei ca. 150mmHg).
Die Verwendung eines Holzspatels (oder Laryngoskops) kann das Einführen und Vorschieben des Absaugkatheters erleichtern. (Idealerweise sollten daher dicke Absauger und ein Holzspatel im Bereich der Reanimationseinheit immer vorbereitet sein!). Für das Absaugen darf allerdings keine unnötige Zeit verschwendet werden. Bereits innerhalb der ersten Lebensminute muss mit Beatmungen begonnen werden.
Die einzige Indikation zur direkten Inspektion des Larynx ergibt sich durch einen sich nicht hebenden Thorax während der Verabreichung von Atemhüben. Allerdings ist auch in diesen Fällen zu beachten, dass insuffiziente Beatmungen am häufigsten ihre Ursache in einer falschen Kopfposition haben.
Zeigt sich unter direkter Laryngoskopie eine Verlegung der Trachea mit Mekonium, kann versucht werden, dieses abzusaugen. Hierfür eignen sich ebenfalls orangene Absauger oder ein Jankauer. Der häufig vorliegende Mekoniumadapter kann als Alternative ebenfalls hilfreich sein. Seine Verwendung erfordert allerdings unbedingt regelmäßiges Training des gesamten Teams, ansonsten birgt er ein hohes Potenzial in einer chaotischen Situation zu enden und gefährdet letztendlich die Patientensicherheit.
Unserer Erfahrung nach ist es allerdings insgesamt fraglich, ob bei einer Verlegung der Trachea ein suffizientes Absaugen von Mekonium gelingen wird, da sich dieses wahrscheinlich auch in den tieferen Atemwegen befindet. Insofern hat die letztendlich lebensrettende, schnelle und effektive Beatmung daher immer Priorität.

 

 

Fazit
In den meisten Fällen lassen sich Neugeborene mit Mekonium trotzdem effektiv beatmen. Ein endotracheales Absaugen wird das Outcome wahrscheinlich nicht verbessern und darf effektive Beatmungen nicht verzögern.
Man muss also nicht zwangsläufig intubieren können, um die meisten kritisch kranken Neugeborenen mit Mekonium erfolgreich retten zu können!

 

 

Literatur

  1. Vain, N.E., et al., Oropharyngeal and nasopharyngeal suctioning of meconium-stained neonates before delivery of their shoulders: multicentre, randomised controlled trial. Lancet, 2004. 364(9434): p. 597-602.
  2. Wiswell, T.E., et al., Delivery room management of the apparently vigorous meconium-stained neonate: results of the multicenter, international collaborative trial. Pediatrics, 2000. 105(1 Pt 1): p. 1-7.
  3. Chettri, S., B. Adhisivam, and B.V. Bhat, Endotracheal Suction for Nonvigorous Neonates Born through Meconium Stained Amniotic Fluid: A Randomized Controlled Trial. J Pediatr, 2015. 166(5): p. 1208-1213 e1.
  4. Wyllie, J., Bruinenberg J., Roehr CC., Rüdiger M., Trevisanuto D., Urlesberger B., European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2015 Section 7. Resuscitation and support of transition of babies at birth. Resuscitation, 2015.

 

*Hinweis: Der Inhalt der vom SIMCharacters-Team kommentierten Texte entspricht unserer persönlichen Meinung, die wir uns vor allem auf Grundlage unzähliger Trainings vor Ort in Kliniken jeder Größe gebildet haben. Da Theorie und Praxis nicht selten weit auseinander liegen, bemühen wir uns um pragmatische Ansätze und Lösungen für das Arbeiten in der täglichen Praxis.
Wir achten stets darauf, dass unsere Empfehlungen grundsätzlich dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist und menschliche Irrtümer nie völlig auszuschließen sind, übernimmt SIMCharacters keine Haftung.


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*Hinweis: guidelines2015.com ist eine Website der SIMCharacters Training GmbH. SIMCharacters bietet Reanimationstrainings im gesamten deutschsprachigen Raum an. Mit dieser Seite möchten wir die Verbreitung der neuen Reanimationsguidelines unterstützen. Mit kommentierten Texten, die unsere Erfahrungen zum Thema Kinder- und Neugeborenenreanimation widerspiegeln, möchten wir die Umsetzung der neuen in die Praxis erleichtern. SIMCharacters Training übernimmt keine Haftung.

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